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Abkippen des Bogens

Verfasst: 25. Jun 2019, 07:41
von test01
Auf internationaler Ebene sieht man das Abkippen des Bogens nach dem Schuss.
Ist das physikalisch vorteilhaft? Wäre ein ausbalancierter Bogen, der nach dem Schuss am ausgestreckten
Bogenarm gleichsam "in der Luft steht" nicht eventuell besser? Oder ist das Abkippen der Masse der Gewichte
am Front-Stabi geschuldet und man nimmt dieses Übel (= das Abkippen) in Kauf, da der Gewichtsausgleich an den Seitenstabis
das Gesamtgewicht des Systems zu groß werden lassen würde ?

Re: Abkippen des Bogens

Verfasst: 25. Jun 2019, 12:46
von ullr
Der Bogen dreht während der Schußzeit, sofern er nicht wie ein Knüppel festgehalten wird. Das ist bedingt durch den Hebelarm gebildet zwischen Druckpunkt in der Bogenhand und der Beschleunigungskraft, mit der das Geschoß aus der Waffe getrieben wird. Dieses Kräftepaar läßt den Bogen drehen, wie jede andere Waffe auch. Die Stabilisation sorgt dafür, dass diese Drehung klein bleibt und damit evtl. Fehler die durch unterschiedliche Druckpunktlage der Hand (der o.a. Hebelarm ändert sich) auch klein bleiben.
Genauer ist das hier erklärt:
https://cnentwig.home.ktk.de/stabilisation.html
https://cnentwig.home.ktk.de/Stabilisat ... 0Teil.html
"Gut Schuss!"
Christian

Re: Abkippen des Bogens

Verfasst: 25. Jun 2019, 18:43
von test01
@ullr

die auftretenden Momente sind klar... wie auf Deiner Seite beschrieben:

Nur beobachtet man verschiedene Verhaltensweisen der Bögen nach dem Schuss, je nach Abstimmung:
1. schnelles Abkippen
2. langsames Abkippen
3. fast "stehender Bogen"

Die Frage war, ob es da Vor- oder Nachteile gibt....

Re: Abkippen des Bogens

Verfasst: 25. Jun 2019, 19:30
von heisem
Die Frage nach der Geschwindigkeit des Abkippens ist doch nur eine Frage der Gewichtsverteilung und Schwerpunktlage des Bogens. Da muss jeder selbst mit sich ausmachen, wieviel Gewicht er sich wohin an die Stabilisation packt. Sehr viel Gewicht vorne kann aber auch dazu führen, dass man bald schon einen negativen Tiller einstellen sollte.
Ansonsten ist es ein Auswahlkriterium für die Kadertrainer, Schützen auszuwählen, die durch Abkippen aufzeigen, dass sie einen sauberen Stil schießen und nachhalten.

Re: Abkippen des Bogens

Verfasst: 25. Jun 2019, 22:03
von Kitty
Das Abkippen sehe ich vor allem als ein Indiz für ein Nachhalten an. Wenn der Schütze nach dem Schuss sofort zusammen fällt oder auch bei sichtbarer Müdigkeit des Schützen, tritt das Abkippen des Bogens kaum oder gar nicht auf.

Außerdem sehe ich das Abkippen so gut wie nur bei Schützen, die den olympischen Recurve mit langen Frontstabi schießen. Bei anderen Stilarten sehe ich oft, dass die Bogenschützen sofort mit dem Bogenarm komplett runter gehen. Nachhalten ist kaum zu sehen.

Re: Abkippen des Bogens

Verfasst: 25. Jun 2019, 22:17
von test01
@Heisem,

wodurch die Geschwindigkeit des Abkippens bedingt ist, ist klar...
Die Fragen war: Ist schnelles Abkippen besser als langsames? Bringt Abkippen Nachteile?
Oder ist es vollkommen egal, ob ein Bogen abkippt oder nicht?
Aus dem Bauch heraus hätte ich gemutmaßt, dass ein "stehenbleibender" Bogen optimal
wäre, analog zu den Präzisionsdisziplinen bei Pistole (Pistole zeigt nach Schussabgabe
weiter in den Halteraum).

Re: Abkippen des Bogens

Verfasst: 26. Jun 2019, 07:31
von ullr
test01 hat geschrieben: 25. Jun 2019, 18:43 @ullr

die auftretenden Momente sind klar... wie auf Deiner Seite beschrieben:

Nur beobachtet man verschiedene Verhaltensweisen der Bögen nach dem Schuss, je nach Abstimmung:
1. schnelles Abkippen
2. langsames Abkippen
3. fast "stehender Bogen"

Die Frage war, ob es da Vor- oder Nachteile gibt....
Ja, das hängt von der individuellen Abstimmung des Systems und dem Schießstil des Schützen zusammen. Hat das System ein hohes "Trägheitsmoment" d.h. vereinfacht sehr lange Stabis und schwere Gewichte an den Enden, wird, wenn keine dynamischen Kräfte (Beschleunigung) mehr wirken, und der Griff um den Bogen locker war und bleibt, der Bogen sich anders verhalten als bei kleinem Trägheitsmoment und festem Griff. Daraus Rückschlüsse auf den eigenen persönlichen Stil zu ziehen ist falsch.
Das Nachhalten des Schützen ist wichtig,
1. weil diese Bewegung ihm und nur ihm, und den Leuten die ihn trainieren, ein Feedback gibt, ob die Ausführung dieses Schusses gestimmt hat und
2. dadurch ein Abschluss in der Exekution des Schusses gelegt wird. Der Schütze kann "nach innen schauen" und überprüft so, ob alles "gestimmt " hat.
Das Abgucken bei Hochleistungsschützen bringt nichts und anschließendes unreflektiertes Nachahmen ist das Allerschlimmste was ein normaler Bogenschütze (bis zu 500 Schuß Training pro Woche) machen kann.
Der Stil eines Hochleistungsschützen mag noch so bescheuert sein, wenn er 500 Schuss pro Tag schießt, wird er irgendwann auch zur Weltelite gehören.
Gruß und klar doch,
"Gut Schuss!"
Christian

Re: Abkippen des Bogens

Verfasst: 28. Jun 2019, 08:44
von HarryS
Hallo
Mag ja sein, dass ich die Physik jetzt komplett falsch verstanden habe und das ganze auf mich als Blankschützen eh nicht so stark zurtrifft, aber beginnt die Kippbewegung bedingt durch die Schwerkraft nicht in dem Moment in dem kein Finger mehr da ist, der die Sehne fixiert. Das heißt für mich (da die Erdbeschleunigung konstant ist) dass die Kippbewegung auch schon eingesetzt hat, bevor der Pfeil den Bogen verlassen hat und damit Einfluß auf den Pfeilflug hat. Das würde wiederum bedeuten, ja später bzw. langsamer das Kippen einsetzt, um so besser für den Pfeilflug.
Bitte korrigiert mich wenn ich damit falsch liege.
Mein Blankbogen ist jedenfalls so abgestimmt, dass er nach dem Schuß nicht kippt sondern nur leicht nach vorne in die Fingerschlinge springt. Und ich habe gelernt, dass man Nachhält bis man das Plopp auf der Scheibe hört.

Gruß Harald

Re: Abkippen des Bogens

Verfasst: 28. Jun 2019, 10:37
von ullr
HarryS hat geschrieben: 28. Jun 2019, 08:44 Hallo
Mag ja sein, dass ich die Physik jetzt komplett falsch verstanden habe und das ganze auf mich als Blankschützen eh nicht so stark zurtrifft, aber beginnt die Kippbewegung bedingt durch die Schwerkraft nicht in dem Moment in dem kein Finger mehr da ist, der die Sehne fixiert. ...
Da ist zu unterscheiden zwischen drei Beschleunigungen, die drei Drehbewegungen des Bogens verursachen, bei denen das Trägheitsmoment, also der Widerstand, den eine Masse auf Grund ihrer Größe und Anordnung um eine Drehachse aufbringt, eine Rolle spielt. Dabei werden die horizontalen Bewegungen des System und dessen Teile (Wurfarme) außen vor gelassen. Die überlagern sich selbstverständlich mit den Drehbewegungen.
1. Beschleunigung des Pfeiles
Wie schon erklärt, bewegt sich der Bogen um die waagerechte Drehachse im Druckpunkt so, dass der obere Wurfarmnock sich auf den Schützen zubewegt.
2. Der Pfeil hat gerade die Sehne verlassen (ausgenockt)
Jetzt fällt das Drehmoment, durch die Beschleunigung des Pfeiles hervorgerufen, weg, aber der Rücklauf des Bogens hat eine Druckerhöhung in der Bogenhand hervorgerufen, die jetzt frei wird und die um den Schwerpunkt des Systems ein Moment erzeugt. Dieses Moment kann in der gleichen Richtung wie das innenballistische Drehmoment wirken und wird bei einem schwach stabilisierten System (Blankbogen, Mittelteil aus Holz) weiter dafür sorgen, dass der obere Wurfarmnock sich auf den Schützen zubewegt.
3. Die Massenträgheit des System, erhöht durch eine gute Stabilisation sorgt für ein Drehmoment, dass den oberen Wurfarmnock vom Schützen weg bewegt und das sehr langsam.

Jetzt, der Pfeil ist schon einige Meter weg, da kommen die Reaktionen der freiwerdenden Momente des Schützen dazu, und die Bewegungen des Bogens in der Hand können sehr fantasievoll sein. :D Und nur diese werden beobachtet.

Diese Beschreibung ist so einfach gehalten wie ich es kann, die vollständige Beschreibung (alle Bewegungen zu den drei genannten Zeitpunkten) würde deutlich größeren Umfang haben.

Und jetzt mal eine Frage an Trainer, die an Lehrgängen des DSB teilgenonmmen haben: Wurde euch die Physik des Bogens, beispielsweise Beschleunigung, Bewegung des Bogens im Schuß, Außenballistik, Parallaxe beim Visierbogen irgendwo, irgendwann mal erklärt?
Gruß und klar doch,
"Gut Schuss!"
Christian

Re: Abkippen des Bogens

Verfasst: 3. Jul 2019, 10:03
von oko_wolf
ullr hat geschrieben: 28. Jun 2019, 10:37 [...]
Und jetzt mal eine Frage an Trainer, die an Lehrgängen des DSB teilgenonmmen haben: Wurde euch die Physik des Bogens, beispielsweise Beschleunigung, Bewegung des Bogens im Schuß, Außenballistik, Parallaxe beim Visierbogen irgendwo, irgendwann mal erklärt?
Einfache Antwort: nein

aufwändigere Antwort:
ich kann nur für den Trainer C Breitensport in Baden sprechen.
Wir haben sehr viel fachübergreifende Themen behandelt, Bogensport war max. 1/3 des Stoff-Umfangs. Scheinbar ist der fachübergreifende Teil für die meisten Trainer C Ausbildungen (also auch für die anderen Sportarten) verbindlich.
Im bogenspezifischen Teil haben wir das Positionsphasen-Modell beigebracht bekommen, etwas Technik (Aufbau Bogen, Zubehör...), dabei teilweise dummes Zeug (Fallschirmeffekt bei nicht eingedrehten Sehnen :-) ) und haufenweise Allgemeinplätze.
Wenig bogenspezifische Trainingslehre, keine Trainingsplangestaltung...

Im Kurs C Leistungssport soll das besser sein, den habe ich allerdings selbst (noch) nicht gemacht und kann daher nur Hörensagen wiedergeben.