Gesamtgewicht vs Spine

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NichtMehrDa01

Gesamtgewicht vs Spine

Beitrag von NichtMehrDa01 »

Was ich immer noch nicht so richtig verstehe: Welchen Einfluss hat das Gesamtgewicht eines Pfeils auf seinen dynamischen Spine - also sein Biege- und Schwingungsverhalten im Bogen? Wir reden nicht vom Spitzengewicht, sondern vom Gesamtgewicht. (Ja, Masse. Ich weiß, aber auf diesem Planeten tut sich das nicht viel ;) ) Reagiert also z.B. ein schwerer Schaft steifer oder weicher als ein leichter - und, wenn ja, warum?

Ich kann mich an einen Erklärungsversuch erinnern, der in etwa besagt, dass der schwerere Pfeil ja langsamer ist. (Stimmt.) Und dass das ja quasi gleichzusetzen wäre, mit einem reduzierten Zuggewicht, wo der Pfeil dann ja auch langsamer aus dem Bogen käme. (Hmm...) Und dass daher der Pfeil umso härter reagiert, je schwerer er ist. (???)

Auf den ersten Blick fast einleuchtend, aber... Unabhängig von der Gesamtmasse des Pfeils, ist doch die Kraft, die auf ihn einwirkt, immer gleich. Also gleicher Bogen vorausgesetzt. Seine Materialeigenschaften (statischer Spine) ändern sich auch nicht. Also sollte doch die initiale Biegung und die daraus resultierende Schwingung auch gleich sein, egal ob der Schaft jetzt 6, 7, oder 8 GPI hat. Oder nicht?

In dem Modell von Archery Analytics ist es übrigens genau umgekehrt. Dort reagiert der Pfeil umso weicher, je schwerer er ist. :roll:

Schöne Grüße,
Andreas
b_der_k_te
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Re: Gesamtgewicht vs Spine

Beitrag von b_der_k_te »

Eine hervorragende Frage!
Auch weil sie nicht so leicht zu erklären ist.

Ich fange mal damit an das ein schwererer Pfeil langsamer vom Bogen abgeschossen wird. Ich denke das leuchtet jedem ein. Warum wird das dann oft mittels schwächerem Bogen verglichen? Vermutlich weil das ein Erklärungsversuch ist der leichter zu verstehen ist. Der Pfeil wird ja nicht nur Richtung Ziel beschleunigt, sondern wird auch bei Langbogen und Recurve in sich gebogen. Das sind dann die Bilder die man immer wieder sieht wenn das Archers Paradox zur Sprache kommt. Der Pfeil fliegt nur dann geradeaus auf der Linie an der man entlang gezielt hat, wenn diese Biegeschwingung genau dann eine bestimmte Biegerichtung hat wenn der Pfeil exaktamente den Bogen verläßt. Bogen verlassen heißt für mich: Pfeilnocke fliegt gerade am Bogenfenster vorbei. Ist der Pfeil bzw. der Bogen eine Spur zu langsam, dann hat er seine Biegeschwingung schon weiter gemacht bis er am Bogenfenster vorbei ist. Und das wiederum würde man bei einem Schießtest dann als "reagiert steif/hart" registrieren.
Das ist dann auch der Grund warum die allererste - weil wirksamste - Korrekturmaßnahme ist, die Wurfkraft des Bogens zu erhöhen (wenn man das denn beim Bogen machen kann). Damit bekommt der Bogen mehr Energie, der Pfeil wird etwas schneller geworfen und das Timing zwischen Biegeschwingung und Pfeilbeschleunigung paßt wieder.
Soweit mal eine noch recht einfache Erklärung. Aber, das funktioniert nur weil in diesem Beispiel der Pfeil gar nicht leichter oder schwerer gemacht worden ist, sondern nur die Bogenkraft angepaßt wurde.

Wenn nun ein schwererer Pfeilschaft verwendet wird, um wieviel wird der Pfeil dann langsamer? Der Bogen hat eine bestimmt Kraft, in weiterer Folge also eine bestimmte Energie mit der er den Pfeil beschleunigt. Auf welche Geschwindigkeit der Pfeil beschleunigt wird, kann man sich aus der Formel E=m.v² ableiten. Nämlich Geschwindigkeit ist die Wurzel aus E/m. Allerdings stimmt die Formel noch nicht ganz, denn die Masse m ist hier nicht nur die Pfeilmasse, sondern auch sämtliche anderen Massen die der Bogen beschleunigen muß. Hauptsächlich sind das seine eigenen Wurfarme und die Sehne.
Die Geschwindigkeit v ist dann die Wurzel aus E/(mP+mB) wobei mB eine Konstante für jenen Bogen darstellt. Die Geschwindigkeit ist damit keine reine Quadratfunktion vom Kehrwert der Pfeilmasse, sondern ähnelt fast schon einer abfallenden Geraden. Anders ausgedrückt: sehr leichte Pfeile sind tatsächlich überraschend langsamer als die erste Formel es vermuten läßt. Oder anders herum: wird ein Pfeil schwerer gemacht, ist er gar nicht mal so viel langsamer als davor.

Wie ändert sich aber nun die Schwingung wenn ein schwererer Schaft mit gleichem Spinewert verwendet wird?
Die Schwingfrequenz allein mal nur für den Schaft ohne Spitze oder Nocke und Federn, also wie schnell sich der Schaft hin und her biegt errechnet sich mit dieser Formel: Die Frequenz = a/L² x Wurzel(E.J/q)
a ist dabei ein bestimmter Faktor für die Schwingungsart,
L ist die Schaftlänge
E.J ist die Biegesteifigkeit (darin ist sowohl das E-Modul des Schaftes als auch sein Innen- und Außendurchmesser enthalten)
q ist die Masse des Schaftes für einen Meter, man muß hier also das Schaftgewicht nicht in grain/inch sondern in g/m umgerechnet einsetzen.
Wird das Schaftgewicht also geändert, so wirkt dieser mit der Quadratwurzel seines Kehrwertes auf die Biegegeschwindigkeit ein. Würde der Schaft viermal so schwer werden, dann würde er nur mehr mit der Hälfte der Frequenz schwingen.
Über diese Formel sieht man auch das die Schaftlänge einen starken (weil quadratischen) Einfluß hat. Wird der Schaft gekürzt, erhöht sich die Frequenz (relativ zu dem wie lang bzw. kurz er davor noch war).

Zurück zur Ausgangsfrage.
Wird ein schwererer Schaft benutzt, dann wird der Pfeil zwar ein wenig langsamer, aber er wird auch langsamer schwingen. Dieses langsamer schwingen ist - vorausgesetzt Alles andere bleibt unverändert - stärker ausgeprägt. Wenn die Pfeilnocke dann beim Bogenfenster vorbei fliegt, wird die Schwingung noch nicht ganz so weit sein. Im Test würde der Pfeil mit schwererem Schaft "weicher" abschneiden.

Das deckt sich mit den Ergebnissen von Archery Analytics, aber auch das Simulationsprogramm von James Park zeigt diese Wirkung. Ich kann dazu ja mal ein paar Screenshots posten.
NichtMehrDa01

Re: Gesamtgewicht vs Spine

Beitrag von NichtMehrDa01 »

Puh, da steckte jetzt viel drin. Vielen Dank, dass du dir mit der Beantwortung meiner Frage so viel Zeit genommen hast! Ich hab’s nach mehrmaligem Lesen erst einmal sacken lassen und versuche es jetzt nochmal mit meinen eigenen Worten zu beschreiben. Okay?

Wäre also der schwerere Pfeil nur langsamer (ohne dass seine Schwingungsfrequenz sich ändern würde), hätten wir ein Timing Problem. Das Heck des Pfeils hätte „Clearance“ noch bevor es das Bogenfenster erreicht hat. Aber in dem Moment wo das Heck das Fenster tatsächlich passiert, schwingt der Pfeil womöglich bereits wieder zum Bogen hin. Der Pfeil reagiert also zu hart, ganz so als wäre das Zuggewicht zu gering.

Tatsächlich aber verändert die Masse des Pfeils nicht nur seine Geschwindigkeit, sondern auch seine Schwingungsfrequenz. Je höher die Masse, desto geringer die Frequenz. (Ein bisschen wie bei einer Gitarrensaite, oder? Auch im Bezug auf die Länge.) Der schwerere Pfeil schwingt also auch langsamer. Und diese Veränderung der Frequenz „wirkt“ stärker, als die Verringerung der Geschwindigkeit. Folglich reagiert der schwerere Pfeil tatsächlich weicher, obwohl er langsamer ist.

Wenn ich das alles richtig verstanden habe, dann kann eine Erhöhung der Masse ja eigentlich nur dazu führen, dass der Pfeil weicher reagiert. Oder kann es in der Praxis ggf. auch zu paradoxen Reaktionen kommen, oder zumindest dazu, dass sich scheinbar gar nichts verändert (Stichwort: Blankschafttest, mit unterschiedlichen Spitzengewichten)?

Danke auch für den Hinweis bezüglich der Wurfarm- und Sehnenmasse. Das war mir zwar nicht fremd, aber ich habe das bislang immer getrennt betrachtet - also nicht als Summe aller bewegten Massen. Und im Vergleich zu der Masse der Wurfarme, spielt die des Pfeils ja gar nicht die erste Geige.

P.S. Gerne auch Screenshots, wenn du mal Zeit hast.
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ullr
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Re: Gesamtgewicht vs Spine

Beitrag von ullr »

NichtMehrDa01 hat geschrieben: 12. Sep 2022, 17:22 Was ich immer noch nicht so richtig verstehe: Welchen Einfluss hat das Gesamtgewicht eines Pfeils auf seinen dynamischen Spine - also sein Biege- und Schwingungsverhalten im Bogen? Wir reden nicht vom Spitzengewicht, sondern vom Gesamtgewicht. (Ja, Masse. Ich weiß, aber auf diesem Planeten tut sich das nicht viel ;) ) Reagiert also z.B. ein schwerer Schaft steifer oder weicher als ein leichter - und, wenn ja, warum?
...
Die Primärdurchbiegung des Pfeiles wird durch die Startbeschleunigung des Bogens und die dieser Beschleunigung entgegen wirkende Masse der Spitze und der Masse des Pfeilschaftes bezogen auf seine kritische Knicklänge erzeugt. Nach 1-2 Millisekunden reicht die Beschleunigung des Pfeiles nicht mehr aus den Pfeil durchzubiegen und er führt nur noch die induzierten Biegeschwingungen aus.
Siehe Video von Beiter
Jetzt rede ich nur noch Pfeilen, die von einem Bogen unter gleichen Bedingungen gerechnet und im 10m Beschuss geprüft wurden.
Beispiel 1
ACE 430: Pfeilmasse:0,0196kg; max Durchbiegung: 0.123m; Freigang Pfeil/Button:0.0023m; Pfeilgeschwindigkeit: 67.42m/s
ACE 370: Pfeilmasse:0,0238kg; max Durchbiegung: 0.110m; Freigang Pfeil/Button:0.0028m; Pfeilgeschwindigkeit:62.0672m/s
Die Pfeilmasse änderte sich um 4g, Der Freigang Pfeil/Button um 0,5mm
Beispiel 2
ACC 2-00/1500: Pfeilmasse:0,0121kg; max Durchbiegung: 0,073m; Freigang Pfeil/Button: 0,018m, Pfeilgeschwindigkeit: 58,04m/s
X7 2012/680: Pfeilmasse: 0,0235kg; max Durchbiegung: 0,055m; Freigang Pfeil/Button:0,013m; Pfeilgeschwindigkeit: 46.09m/s
Nirgends ist irgendein direkter Einfluss der Gesamtpfeilmasse zu sehen.
Bei einem abgestimmten System spielt die Masse des Pfeiles überhaupt keine Rolle.
Gruß und klar doch,
"Gut Schuss!"
Christian
Nebenbemerkung: Der Spine des Pfeiles wird statisch gemessen. Einen dynamischen Spine gibt es nicht.
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Re: Gesamtgewicht vs Spine

Beitrag von b_der_k_te »

Um das mal von ullrisch auf deutsch zu übersetzen:
Offenbar muß ein Schaft der mehr Masse hat, der also mehr wiegt, einen deutlich steiferen Spine haben damit der Pfeil immer noch gut auf den Bogen abgestimmt ist. Der Umkehrschluß wäre dann: würde der Spine nicht angepaßt werden, würde der schwerere Schaft zu weich reagieren.
NichtMehrDa01

Re: Gesamtgewicht vs Spine

Beitrag von NichtMehrDa01 »

Ja, ganz genau. Ich sehe da jetzt auch keinen Widerspruch zum bisher gesagten, sondern vielmehr einen Beleg dafür.
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Re: Gesamtgewicht vs Spine

Beitrag von ullr »

b_der_k_te hat geschrieben: 15. Sep 2022, 09:05 Um das mal von ullrisch auf deutsch zu übersetzen:
Offenbar muß ein Schaft der mehr Masse hat, der also mehr wiegt, einen deutlich steiferen Spine haben damit der Pfeil immer noch gut auf den Bogen abgestimmt ist. Der Umkehrschluß wäre dann: würde der Spine nicht angepaßt werden, würde der schwerere Schaft zu weich reagieren.
Na, gut:
Die Aussage meines Postes ist eigentlich eindeutig: Sind die Pfeile richtig abgestimmt, dann spielt die Masse des Gesamtpfeiles (OK, zur Sicherheit: nur bezogen auf die Abstimmung!!!) überhaupt keine Rolle.
Und so ist auch Dein Umkehrschluss richtig:
würde die Spitzenmasse nicht angepaßt (erhöht) werden, würde der schwerere Schaft zu hart reagieren.
Denn der schwerere Schaft hat eine größere spez. Dichte, (in meinem Beispiel 0,29g/cm gegenüber von 0,12g/cm) damit hat er eine höhere Masse, damit wird die Beschleunigungskraft kleiner. Diese Einflüsse sind in meinem Modell verarbeitet.
Gruß und klar doch,
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Re: Gesamtgewicht vs Spine

Beitrag von b_der_k_te »

Hast Du meinen Umkehrschluß da jetzt komplett falsch zitiert :?: :?: :?: :evil:
Die Ausgangsfrage von NichtMehrDa01 war was passiert mit der Abstimmung wenn weder Spine noch Spitze noch Bogen noch sonstwas geändert wird, sondern nur die spezifische Dichte des Schaftes geändert wird.
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Re: Gesamtgewicht vs Spine

Beitrag von ullr »

b_der_k_te hat geschrieben: 15. Sep 2022, 11:22 Hast Du meinen Umkehrschluß da jetzt komplett falsch zitiert :?: :?: :?: :evil:
Die Ausgangsfrage von NichtMehrDa01 war was passiert wenn weder Spine noch Spitze noch Bogen noch sonstwas geändert wird, sondern nur die spezifische Dichte des Schaftes geändert wird.
Wenn der Pfeil vorher passte, und Du erhöhst nur die Dichte des Schaftes, wird die Beschleunigung des Pfeiles kleiner werden. Im Umkehrschluss wird dieser Pfeil also härter reagieren, weil die Knickkraft (nach Euler) einfach kleiner wird. Diese Änderungen, das kannst Du mir jetzt mal ruhig glauben, können minimal sein und trotzdem komplett einen passenden Pfeil in einen zu steifen umwandeln.
Es reicht nicht diese Größe am Ende irgendeiner Modellrechnung zu ändern, da kommt nämlich Unsinn raus, sondern sie muss bereits beim Beginn, bei der Eingabe der Funktion Beschleunigung über Zeit eingegeben werden.
Gruß und klar doch,
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Re: Gesamtgewicht vs Spine

Beitrag von b_der_k_te »

ullr hat geschrieben: 15. Sep 2022, 12:25 Wenn der Pfeil vorher passte, und Du erhöhst nur die Dichte des Schaftes, wird die Beschleunigung des Pfeiles kleiner werden.
Das habe ich weiter oben auch schon erklärt. Doch ändert sich mit der Dichte des Schaftes auch seine Eigenfrequenz mit der er dann schwingt.
Ist DIr nicht aufgefallen das bei Deinen Beispielen der schwerere und damit langsamere Pfeil auch einen steiferen Spine hat um Deiner Aussage nach wohl abgestimmt zu bleiben? Offenbar sind in Deinen Beispielen neben dem Spine und damit dem Schaftgewicht auch noch die Spitzengewichte unterschiedlich. Eigentlich sind sie für die Fragestellung von NichtMehrDa01 damit nicht zu gebrauchen.
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