Diese Diskussion hatten wir schon oft, auch im "alten BSF", ich möchte sie mal wieder beleben. Es gibt ja die einschlägigen Empfehlungen, wie lang ein Bogen zu sein hat. Ich habe mich ein bisschen durch die Literatur gewühlt und folgende Werke gesichtet:
- 1995 Krost, Von 0 auf 1300
- 1997 Mit System ins Gold
- 2000 Terry Schaeven, Wege zum erfolgreichen Bogenschießen
- 2002 Reference Guide for Recurve Archers, Murray Elliot
- 2004 Krapf, Mit Pfeil und Bogen
- 2010 Haidn, Weineck, Haidn-Tschalova, Bogenschießen
- 2013 Archery, USA Archery
- 2017 WA: Draw length + 40 "
- 2016 http://www.bogensport-extra.de/sportein ... ogens.html
Bei den einzelnen Quellen sind oftmals Bereiche statt klarer Zuordnungen angegeben. Daher gehört zu jeder Bogenlänge gerade im Übergangsbereich noch eine Unsicherheit, was hier nicht dargestellt wurde. Hier wurde soweit im Einzelfall möglich eine plausible Zuordnung der Bogenlänge zum Auszug vorgenommen. Eine Abweichung von 2 Zoll ist daher gerade im mittleren Bereich stets möglich und unkritisch, zumal die Autoren immer nur von Richtwerten, Empfehlungen etc. sprechen.
Bei einigen Quellen wurden extreme Werte nicht angegeben, weil diese nicht mehr sinnvoll erscheinen (wenn z.B. nur 66"-70" im Sortiment, dann wurde nicht extrapoliert). Andere Literatur, wie z.B. Heim/Wendlandt (1993) oder John Williams (1986) geben keine konkreten Längen an.
Mein erstes Fazit: von den reinen Zahlen her scheint alles aus der gleichen Quelle zu stammen. Nur- wo liegt diese? Wer hat wann die Ur-Tabelle aufgestellt und wer hat wo abgeschrieben? Der schwache Trend zu den 72"-Bögen kann der erst später aufkommenden Verfügbarkeit dieser Systeme geschuldet sein. Teilweise wird der Sehnenwinkel angesprochen, das Thema aber nicht ausgeführt.
Hier einige Detailausführungen:
"Archery", USA Archery, 2013, USA Mel Nichols: S. 12:
" check your draw length [übliche Empfehlungen]. Some archers might get a little more finger pinch with the string from different draw lengths. The best bow length for you is a bow that feels good to you and has the least amount of finger pinch."
Meines Erachtens widerspricht sich der Autor hier im letzten Satz, denn eine konsequente Verkleinerung des "pinch" bedeutet einen Bogen, der so lang ist wie möglich. Da dies offensichtlich eine unmögliche Anforderung ist, muss man hier auf einen Kompromiss hinarbeiten, der nicht näher erläutert wird. Auch wird keine Herleitung des "pinch" oder gar eine Größenordnung angegeben.
Fazit: keine harten Anforderungen an die Bogenlänge.
"Mit System ins Gold", Bachmann/Ulrich, 1997, Deutschland
Kapitel 4.5.3 Bogenlänge in Abhängigkeit vom Auszug, übliche Daten (Tabelle 4.5.3 A).
Weiter geht's im Kapitel 4.5.4, mit den Tabellen 4.5.4 A und B, in denen zusätzlich Kombinationen in Abhängigkeit der Disziplin (FITA / Feld) angegeben werden. "Oft werden im Feld- und Jagdschießen generell etwas kürzere, schnellere Bogen eingesetzt, um die notwendige flache Flugbahn zu erreichen." Ob diese flache Flugbahn notwendig ist, kann man diskutieren. Man kann hieraus aber ableiten, dass man mit einem kurzen Bogen und geringeren Zuggewicht zu einem gleich schnellen Pfeil kommen kann wie mit langen Wurfarmen. Wichtig hier ist aber der Hinweis, dass auch kürzere Systeme möglich sind, auch wenn das aus den Tabellen nicht herauskommt.
"Das Optimale in Hinblick auf Gesamtlänge muss der Schütze aber selbst herausfinden. Die aufgelisteten Tabellen bieten eine Hilfe, den großen Kreis der Varianten einzuengen." Eine Hilfe, keine absoluten Vorgaben.
Fazit: keine harten Anforderungen an die Bogenlänge.
"Bogenschießen", spitta, Haidn/Weineck/Haidn-Tschalova, 2010, Deutschland
Seite 654 ff: "Der Bogen muss auf die anatomischen und technischen Voraussetzungen des Schützen abgestimmt sein. Von besonderer Bedeutung ist die Auszugslänge des Schützen"
Tabelle 155 "Richtwerte hinsichtlich der Auswahl der Bogenlänge" liefert hierzu die bekannten Daten. Richtwerte, wohlgemerkt.
"Ein langer Auszug (über 730 mm) benötigt einen langen Bogen, weil ansonsten der Winkel der Sehne im Anker zu spitz wird, was zu einem Einklemmen der Pfeilnocke führen kann".
Die Autoren geben hierzu keine (Winkel-)Daten an, auch ist nicht dargestellt, warum man diese Probleme erst ab 730 mm Auszug bekommt.
Interessant hierzu: "Zu berücksichtigen ist ferner, dass ein längerer Bogen eine geringere Anfangsgeschwindigkeit des Pfeils erzeugt (der Wurfarm wird schwerer) und beim Abschuss instabiler ist, weil er mehr zu Drehschwingungen tendiert." Wird ein kurzer Bogen damit stabiler? Das Thema wird leider nicht vertieft.
"Hingegen hat ein kürzerer Bogen eine geringere dynamische Masse und damit einen besseren Wirkungsgrad."
Genau so ist es.
Danach wird noch einmal aus Bachmann/Ulrich zitiert:
"Beachten Sie: Im Jagd- und Feldschießen werden meist kürzere, schnellere Bögen eingesetzt."
Auch werden die o.g. Tabellen 4.5.4 A und B aus Bachmann/Ulrich wiedergegeben. Insofern gibt's hier nix Neues unter der Sonne.
Aber auch hier wird nicht kategorisch von kürzeren Systemen abgeraten, es werden sogar Argumente für einen kurzen Bogen geliefert.
Fazit: keine harten Anforderungen an die Bogenlänge.
Es gibt zudem die Hoyt-Empfehlungen von 2003 (die sind mir zumindest bekannt), die auch nur unklare Empfehlungen geben - und das aus dem Land unbegrenzten Schadensersatzklagen. Für mich ist das ein Hinweis, dass die WA einiges abkönnen, denn wenn ansonsten alles geregelt werden muss (Stichworte: Mikrowelle, Kaffee, etc.), und wundert mich doch sehr, dass es hier keine klaren Vorgaben / Restriktionen gibt.
Herausnehmen möchte ich an dieser Stelle Border, dieser Hersteller gibt klare Vorgaben für die Auszugslänge an, was aber auch an der extremen Gestaltung der Wurfarme liegt, so dass diese optimal arbeiten können. Das ist nachvollziehbar und in der Technik begründet.
Aus der aktuellen Fachliteratur und auch herstellerseitig nehme ich daher mit, dass es keine harten "Spezifikationen" zur Auswahl der Bogenlänge gibt. Alles wird als "Empfehlung" oder "Richtwert" angegeben, es gibt kein hartes "das darfst Du nicht machen". Ganz im Gegenteil, es wird sogar ermuntert, das Material auszuwählen, mit dem der Schütze zurechtkommt.
Es werfen sich immer wieder die gleichen Fragen auf:
Woher stammen diese alten Empfehlungen?
Wie begründen sich diese (sofern erforderlich, mit Daten unterfüttert)?
Gibt es irgendwelche Unterlagen, die dies belastbar herleiten und nicht in der gängigen Literatur abgebildet sind?
Ich will's nur wissen , ein Zitat, ein Link zu einer soliden Quelle, gibt's da denn gar nix?
Es ergeben sich automatisch neue Fragen:
Wie ist mit den 27"-Mittelteilen umzugehen, die in den doch recht alten Tabellen nicht erfasst sind? Oder 23"?
Wann nimmt man beispielsweise 23/long und wann 27/short (gibt in beiden Fällen einen 68er Bogen)? Welche Auswahlregeln gelten hier? Wie sind sie zu begründen?