Wichtige Kenndaten von Sehnengarn

Fragen, Themen die das System Bogen incl. Anbauteile betreffen
b_der_k_te
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Re: Wichtige Kenndaten von Sehnengarn

Beitrag von b_der_k_te »

Hallo wapi, Ich würde noch gerne etwas aufgreifen, das noch nicht gänzlich geklärt ist.
wapi hat geschrieben: 2. Mär 2024, 13:37 Interessant ist Dein Hinweis "vorgereckt und wärmebehandelt". Vorgereckt ist klar, wärmebehandelt ist eine sehr fragwürdige Äußerung, da die HMPE bzw. UWHMPE Garne alle industriemäßig im sogenannten Gelspinnverfahren hergestellt werden. Das besagt, dass das Polymer zu einem flüssigen Brei erhitzt wird, diese Spinnmasse wird dann durch einen Spinnkopf gepreßt.
Angenommen es ist nicht jedem klar was "vorgereckt" bedeutet und was es bringen soll.
Kann man die Auswirkung zusammenfassen und auch mit physikalischen Eigenschaften der Polymerfasern erklären?
Zum Beispiel stellt sich die Frage:
Sebastian Rohrberg hat geschrieben: 3. Mär 2024, 15:43 Kann man denn dynema soweit ausrecken oder behandeln, dass es nur noch seine dehnbarkeit im Schuss behält? Aber nicht mehr soviel schrumpft wenn man die Last wegnimmt?
Ich habe meine Sehnen unter 100 bis 150kg Last gewickelt. Also langsam bis 150kg erhöht. Ich empfand die Sehnen dann unempfindlicher auf Temperatur...
Was für mich weitere Fragen aufwirft:
Macht es einen Unterschied ob
  1. man (der Garn-Konfektionär) die einzelnen Faser vorreckt, bzw. aufgewickelt auf dem Sehnengalgen.
  2. die Sehne mit oder ohne Mittelwicklung vorreckt.
  3. die Sehne vor oder nach dem ersten Eindrehen vorreckt.
wapi
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Re: Wichtige Kenndaten von Sehnengarn

Beitrag von wapi »

b_der_k_te,
Du sprichsr hier ein sehr komplexes Thema an, zu dem es in der Bogensportwelt die größten Mißverständnisse gibt, die meisten Falschaussagen bestehen und leider auch eine gewisse Uneinsichtigkei der Schützen bestehen, die auf althergebrachte heute nicht mehr gültige Wissensbestände beharren.
Um es wirklich in einer flachen Informationshierachie ( damit es nicht zu technisch und unverständlich wird) muß man sich zunächst darauf verständigen, was die Begriffe SLIP, STRETCH und CREEP bedeuten.
Nächster Eckpunkt ist das industrielle Spinnverfahren für HMPE bzw. UWHMPE Garne, die bekannter Maßen im sogenannten Gel-Spinnverfahren hergestellt werden. Das bedeutet, dass diese Garne alle auf steigende Temperatur in Änderung ihrere Molekularstruktur reagieren ( weicher werden und damit Leistung verlieren).
In diesem Spinnprozess gibt es einen sehr sensiblen Streckvorgang, zwischen Austritt der Filamente aus dem Spinnkopf und Eintritt in die Abkühlungszone bevor die Filamente zu einem Garnstrang aufgespult werden. Dieser Streckvorgang beeinflußt aber nicht die später noch empfindliche Reaktion bei steigenden Temperaturen.
Und nun zu dem Begriff vorrecken beim Bogensehnenbau.Vorgereckt wird hier nur der um den Galgen gewickelte Strangverbund, entweder auf dem Galgen mit Zug- Und Spreizvorrichtung selbst oder nach Abnahme des Strangverbundes vom Galgen und Einspannen in ein sogenanntes Streckbett.
Dieses Vorrecken hat nur den Zweck. das sich die einzelnen Stränge im Strangverbund der Sehne unter Last ordnen und das spätere Setzen der fertigen Bogensehne (slip genannt) minimieren. Mit ungleicher Zugkraft um den Galgen gewickelte Garnstränge setzen sich. Auswirkungen auf die physikalischen Eigenschaften der HMPE7UWHMPE Garne hat das nicht.
Die Fragestellung von Sebastian Rohrberg kann man mit nein beantworten. Sein Eindruck, dass sich die Sehne bei 150 kg Strecklast wärmeunempfindlicher verhält, ist eine Fehlempfindung.
Zu weiteren Antworten zu Deinen Fragen:
1) Ein Garnkonfektionär nimmt kein Vorrecken der Garnstränge, auch nicht unter Wärmeeinwikung, vor. Er spult nur um oder beim Hybridgarn zusammen und nimmt die PU-Farbbeschichung vor zusammen mit dem Wachsauftrag. Danach das Spulen auf die garntragenden Hülsen in Verkaufsgröße.
2) Eine Sehne mit Mittenwicklung sollte man nicht mehr vorrecken. Aber beim Sehnenwickeln und dem Anbrigen der Mittenwciklung gibt es verschiedene Vorgehensweisen, meistens wird die Sehne auf den Bogen aufgelegt, zur richtigen Standhöhe eingedreht und dann die Mittenwicklung angebracht. Das löse ich z. B. anders. Meine Endlos Sehnen werden inm Streckbett mit ca 150 kg vorgereckt und dann bringe ich in diesem Zustand die Mittenwicklung an. Danach spanne ich sie Auf den Bogen und drehe sie zur für mich richtigen Standhöhe ein. Das bedeutet, dass sich im Bereich der Mittenwicklung keine eingedreht Sehne befindet und so auch keine Zugbelastung unterhalb der Mittenwicklung entstehen kann.
3) Die Sehne vor oder nach dem ersten Eindrehen vorzurecken, gibvt nach meiner Ansicht keinen Sinn, das ist nicht der Zweck des Vorreckens.
Gruß
Sebastian Rohrberg
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Re: Wichtige Kenndaten von Sehnengarn

Beitrag von Sebastian Rohrberg »

Moin.
So kann man sich täuschen. :lol:
Wahrscheinlich habe ich mir in meinem Sehnenwickelprozess einfach mehr Mühe gegeben und die Stränge besser gelegt... Man soll den Placeboeffekt nicht unterschätzen.
b_der_k_te
Moderator
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Re: Wichtige Kenndaten von Sehnengarn

Beitrag von b_der_k_te »

Vielen Dank wapi für diese tolle Zusammenfassung.

Ich habe zwischenzeitlich auf eigene Faust weiter recherchiert, speziell was das Recken von Kunststoffasern betrifft.
Über eine Webseite zum Thema Jachten bin ich auf den Begriff "Heißverstreckung" gestoßen.
Dort steht zumindest:
Die guten Werte der Dyneemafaser lasen sich durch das sogenannte Heißverstrecken noch verbessern. In dem Prozess wird das Geflecht komprimiert , wodurch die Bruchlast steigt und die Dehnung weiter abnimmt.
Die Bruchlast ist für uns Bogenschützen nicht so wichtig - unsere Sehnen sind ja sowieso bewußt überdimensioniert was das angeht.
Bei der Dehnung (E-Modul) ist man wieder bei dem Thema: will man überhaupt weniger Dehnung..?

Über den Begriff "heißverstrecken" fand ich dann Allgemeines zu Faser und Spinnprozess mit zwei Schaubildern dazu:
PolymereVerstrecken.PNG
Das ist also nichts was man schnell mal Zuhause macht.
PolymereVerstrecken2.PNG
Vielleicht machen sowas auch Garnkonfektionäre; zumindest gibt ein englischer Seilhersteller das auf seiner Webseite so an:
https://www.marlowropes.com/innovation/ ... tech-info/
runterscrollen zu PRE-STRETCHING
Darunter noch ein Diagramm (Fig 1) das zeigt das die Bruchlast mit solch behandelten Fasern höher ist und auch das E-Modul (Steilheit der Linie) ist größer (=weniger Dehnung).

Nachtrag:
Cool wäre es aber schon wenn das mal mit SK38 gemacht werden würde und das dann als Sehnenmaterial angeboten wird. Denn von den Daten her hat SK38 deutlich mehr Dehnung als SK75 und aufwärts, aber doch grenzwertig wenig Festigkeit für eine Bogensehne.

Oder wenn mehr DM20 angeboten werden würde. Schade das dies nicht weiter verbreitet ist.
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wapi
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Re: Wichtige Kenndaten von Sehnengarn

Beitrag von wapi »

b_der_k_te hat geschrieben: 8. Mär 2024, 17:04


Vielleicht machen sowas auch Garnkonfektionäre; zumindest gibt ein englischer Seilhersteller das auf seiner Webseite so an:
https://www.marlowropes.com/innovation/ ... tech-info/
runterscrollen zu PRE-STRETCHING
Darunter noch ein Diagramm (Fig 1) das zeigt das die Bruchlast mit solch behandelten Fasern höher ist und auch das E-Modul (Steilheit der Linie) ist größer (=weniger Dehnung).

Nachtrag:
Cool wäre es aber schon wenn das mal mit SK38 gemacht werden würde und das dann als Sehnenmaterial angeboten wird. Denn von den Daten her hat SK38 deutlich mehr Dehnung als SK75 und aufwärts, aber doch grenzwertig wenig Festigkeit für eine Bogensehne.

Oder wenn mehr DM20 angeboten werden würde. Schade das dies nicht weiter verbreitet ist.
Bernd,
danke für Deine Beiträge, die sehr interessant , aber einfach nicht übertragbar auf Bogen-Sehnengarne sind. Das Thema Ropes mit den notwendigen Sicherheitsdatenblättern bzw. den Sicherheitsnormen, die in der zivilen und militärischen Schifffahrt zu erfüllen sind, sollten wir uns an dieser Stelle nicht beschäftigen. Einen wichtigen Hinweis gebe ich allerdings noch: Alle in Deinen Unterlagen angesprochenen Garntypen wurde allesamt für technische Lösungen entwickelt und müssen unterschiedliche Sicherheitsstandards erfüllen, die u. U. auch eine von Dir beschriebene Nacharbeit erfordern. Aber keine dieser Garntypen ist jemals für den Bogensport entwickelt worden.
Unsere bekannten Sehnengarnkonfektionäre nehmen eine solche nachträgliche "Ertüchtigung" der Garne nicht vor. Grund: Für den Bogensport nicht erforderlich, in der Durchführung und Prozesssteuerung zu kompliziert und zu teuer.
Der Grund, warum SK38 nicht als Bogensehne angeboten wird, hast Du selbst herausgefunden.
DM20 gibt es oder gab es als Bogensehnengarn. Ich selbst verwende ausschließlich diesen Garntyp als Sehnengarn und habe seinerzeit bei seiner Sehnengarn-Entwicklung bei der Firma Lippmann German Ropes kräftig mitgearbeitet.
Warum diese Garntype als Sehnengarn nicht weiter verbreitet ist? DSM schützt diese neue Faser-Technologie durch bestimmte Vorgaben. Die Erlaubnis zur Verarbeitung wird nur wenigen Produzenten erlaub,t und die müssen strenge Auflagen erfüllen.
Gruß
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